Wer denkt, dass das Surfen eine aussterbende Sportart ist, der hat einige rasante Entwicklungen verpasst; das Standup Paddling und das Foilsurfen für Windsurfer, Kitesurfer und SUP Sportlern sind nur zwei der jüngsten Entwicklungen, die immer beliebter werden. Doch nun gehen die großen Surf brands noch einen Schritt weiter und entdecken eine alte Trendsportart wieder, die das Positive aus all diesen Surfsportarten vereint: Das Wingsurfen oder auch Wingfoilen…
Quicklinks:
- Was ist Wingsurfing und wie funktioniert es?
- Empfehlung und Beratung zur Ausrüstung
- Erste Schritte
- Marken, Bauvarianten
- Für historisch Interessierte: Entstehungsgeschichte des Wingsurfens
Was ist Wingsurfing eigentlich?
Auf einem Board stehend hältst du einen symmetrischen Flügel in der Hand, den so genannten Wing. Es ist entweder aufblasbar und wie ein Tube Kite mit einer Leading Edge ausgestattet, oder es gibt eine Lenkstange, die den Flügel aufspannt. Anders als bei anderen Windsportarten wird der Wing weder am Board fixiert noch über irgendwelche Schnüre indirekt gesteuert: Man hat die direkte Steuerung und das direkte Feeling des Wings in den Händen. Durch die geschickte Positionierung des Wing fängt man den Wind so ein, dass er sich über die Füße in eine Vortriebskraft für das Surfbrett verwandelt. Dabei erreicht man mit Downwind-Kursen klassischerweise die höchsten Geschwindigkeiten. Die Steuerung und die Richtungsänderung erfolgt dabei hauptsächlich über Kantendruck am Surfboard. Das ist mit einem Hydrofoil natürlich noch viel einfacher als bei Boards mit herkömmlichen Finnen. Im Naish Video rechts kannst du dir ein Bild davon machen, wie das Ganze funktioniert…
Welche Vorteile vereint das Wingfoiling im Vergleich zu anderen Surfsportarten?
- Materialschlacht: Anders als beim Windsurfen, für das du ein elendig sperriges, teures und vielteiliges Equipment benötigst, reicht beim Wingsurfen ein Board (ggf. mit Foil) und ein Wing Sail – Fertig!
- Transportierbarkeit: Du brauchst keinen Bulli, keinen Dachträger und keinen Anhänger, denn je nach Hersteller passt das Wingfoil Equipment abgepumpt und abgerollt in einen kleinen Rucksack!
- Einfache Technik: Kein Trimmen, kein Ingenieursstudium, kein Kite-Leinen-Gefummel! Du musst den Wing nur ausrollen und aufpumpen – Ab aufs Wasser!
- Leichter Einstieg: Im Vergleich zum Kitesurfen oder Windsurfen ist das Wingsurfing sehr schnell und einfach zu lernen – besonders, wenn man mit einem Board anfängt, das genug Auftrieb hat um sein eigenes Körpergewicht zu tragen (d.h. Board-Volumen = Boardeigengewicht + Körpergewicht + ein paar Liter Reservevolumen).
- Leichtigkeit und Freiheit: Der Surf Wing ist federleicht und fühlt sich auch im Winddruck genau so an! Eine ermüdete Arm-Muskulatur und die Notwendigkeit von Trapezen gehören bei dieser Sportart der Vergangenheit an. Auch bei mehrstündigen Surf Sessions auf dem Wasser sind kaum Ermüdungserscheinungen zu verspüren.
- Sicherheit: Im Vergleich zum Kitesurfen ist es ausgeschlossen, dass deine Lines sich mit denen eines anderen Surfers verheddern und du auf das Land geschleudert wirst. Im Vergleich zum Windsurfen gibt es keinen Mast, der dir auf den Kopf donnern kann; es gibt keine Schleuderstürze; es kommt auch nicht vor, dass du im Trapez eingehakt unter dem Segel im Wasser liegst. Du kannst mit einem solchen Handsegel auch kaum andere Surfer verletzen oder Gegenstände verkratzen oder beschädigen. Da du den Sport in Ufernähe betreibst, ist auch unwahrscheinlich, in Seenot zu geraten.
- Universalität und geringe Hürden: Schon ab etwa 8 Knoten (abhängig vom Surfer-Gewicht und gewählten Board und ob ein Foil vorhanden ist) ist das Wingsurfen möglich, und auch bei weniger Wind eine gute ergänzende Vortriebskraft für den Schub der Wellen.
=> Kaum Wind da aber Wellen?
=> Wenig Wind da und gar keine Wellen?
=> Zu wenig Wind zum Windsurfen oder Kitesurfen?
=> Wind ist da, aber kein Wasser?
=> Alles Einsatzmöglichkeiten für das Wingsurfen!
Die Ausrüstung
Wie schon geschrieben kommen Wingfoiler mit deutlich weniger „Geraffel“ aus als andere Surfer, so dass wir uns hier auf zwei Unterkapitel beschränken können:
Der Wing
Während es bei den verwendbaren Boards viele Möglichkeiten gibt, ist der prägende Bestandteil der Wing (englisch für Flügel). Es ähnelt in seiner Bauform und seiner Technologie einem Kite, während die Steuerung und die Körperhaltung des Wingsurfers auf dem Board eher dem Windsurfen näher ist. Der Wing verleiht gleichzeitig Auftrieb und Vortrieb. Bei den meisten Herstellern ist er über eine Arm- oder Bein-Leash gesichert, so dass er nicht versehentlich abhanden kommt.
Surfboard-Empfehlung für den Einstieg
– egal ob aufblasbar oder fest – egal ob mit oder ohne Foil – egal ob mit oder ohne Schlaufen. Einfacher ist der Einstieg natürlich mit einem Board, das genug Volumen bietet, um den Surfer zu tragen. Je nachdem wie schwer du bist und wie viel Ehrgeiz du hast, sind Boards zwischen 120 und 180 Litern denkbar. Zwar ist der Einstieg mit mehr Volumen leichter, aber das geht zu Lasten des leichten Surfgefühls durch die Trägheit des Boards.
Wer schon Erfahrung mit Foilsurfen auf dem Kite-, SUP- oder Windsurfboard hat, dem wird dies beim Wingsurfen auch leicht fallen. Für Foil-Neulinge empfiehlt sich, erstmal darauf zu verzichten. Aufblasbare SUP Boards sind in der Regel etwas „klobiger“, etwas träger und etwas schwerer als Hardboards. Aus diesem Grund braucht man für solche Surfbretter etwas mehr Wind, um mit dem Wing vorwärts zu kommen.
Die Leash
Wenn du gerade als Einsteiger nicht ständig deinem Wing hinterherlaufen oder -schwimmen möchtest, dann solltest du eine Leash verwenden. Mit einem gepolsterten Klettband an einer Leine befestigst du den Wing an deinem Arm und verhinderst so, dass er bei einem Sturz entwischt. Eine absolute Empfehlung! Extrakosten kommen dafür selten auf dich zu, denn bei den meisten Herstellern ist eine Leash bereits im Lieferumfang enthalten.
Erste Schritte
Wing-Foiler stehen gleich vor vielen Herausforderungen gleichzeitg: Das kurze Wingfoil-Board mit dem vergleichsweise geringen Volumen ist kippelig, so dass es schwierig ist, das Gleichgewicht zu halten. Der Wing muss in Position gehalten werden. Wenn später das Foil das Board aus dem Wasser gehoben hat, muss das Board nicht nur in der Fläche ausbalanciert werden, sondern auch noch in der Höhe.
Helfen Vorkenntnisse im Windsurfen, Kitesurfen, Foilsurfen oder SUP beim Einstieg?
Ja! Denn im Grundsatz sind die Steuerung und das Board-Gefühl ähnlich. Dennoch gibt es einige Unterschiede im Handling.
Für Windsurfer sicherlich gewöhnungsbedürftig:
- Die Leading Edge ist kein Mast! Wer den Wing wie ein Windsurf-Segel hält, dem wird der Wing häufiger umschlagen oder mit einem Tip ins Wasser reichen.
- Ungewöhnlich auch: Das Board ist deutlich kleiner, kürzer und hat weniger Volumen
Kitesurfer müssen sich hier umgewöhnen:
- Die Steuerung des Wings unterscheidet sich deutlich von der Steuerung eines Kites
In jedem Fall sind Erfahrungen mit einem Foil hilfreich.
Soll das Wingfoilen andere Sportarten nun ersetzen?
Nicht, wenn es nach Robby Naish & Co. geht: Sie sehen diese neue Sportart als verbindendes Element, das als bereichernde Variante von Standup Paddling, Kitesurfen, Windsurfen und Wellenreiten parallel betrieben wird. Als große Stärke wird besonders die Simplicity betont: Aufpumpen und Los!
Die lange Entwicklungsgeschichte des Flügels
Entgegen der verbreiteten Annahmen ist das Wing Surfen keine brandneue Entwicklung: Schon Mitte der 80er Jahre stand Tom Magruder auf dem Windsurf Board, auf dem ein frei rotierendes Segel fest montiert war. Diese Pionier-Sportart brachte es zwar zur Marktreife, konnte sich jedoch nicht als Breitensport durchsetzen. Wie das funktionierte, zeigt das Video auf der rechten Seite. Ähnliche Konstruktionen und Varianten kamen auch immer wieder in den Bereichen Skaten, Strandsegeln, Longboarding, Streetsurfen, Dirtsurfing & Co. zum Einsatz. Zwar unterschied sich die Grundidee kaum, jedoch kamen immer wieder neue Bezeichnungen dafür auf: Skate Sails, Wind Skates, Wind Weapons und andere.
Erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts brachte u.a. die Kitesurf Marke Slingshot einen Wing auf den Markt, der wie ein Tube Kite aufblasbar und mit einer leading edge ausgestattet war. Das Gewicht und die Trägheit der Boards machte es jedoch nötig, dass die Wings sehr groß und damit unhandlich wurden, so dass auch dieser Anlauf zur Verbreitung des Wingsurfens schon in den Kinderschuhen weitgehend scheiterte. Das Aufkommen der Hydrofoils unter Windsurf Boards, Kiteboards und Standup Paddle Boards ermöglichte schließlich kleinere Wings, und hier startete die Sportart durch. Große Marken wie Slingshot, Naish und Duotone bringen zur Saison 2020 ihre neusten Modelle auf den Markt. Die Zukunft der neuen Handheld-Segel hält sicherlich noch die eine oder andere Überraschung bereit. Bist du dabei?
Pionier-Marken die bereits Wings am Start oder in der Planung haben
Naish hat bereits zum 1. Juli 2020 den Verkaufsstart seines Wingsurfers mit 4 qm angekündigt. Auch Slingshot plant in Kürze den Launch seines langjährig entwickelten Slingwings. Technische Infos werden jedoch bisher noch strikt vertraulich behandelt. Natürlich hat auch einer der Kite-Weltmarktführer, Duotone, ein Produkt in der Pipeline, das gerüchteweise in gleich vier Größen an die Strände Europas kommt. Nach Ozone, F-One und Cabrinha kommen nun auch weitere Player auf den Markt, die ebenfalls ähnliche Modelle anbieten, z.B. GA, RRD, Ensis, i99, Gong, JP, Starboard und weitere. Mittlerweile hat fast jeder Windsurf, Kite oder SUP Brand einen oder mehrere Wings im Programm.
Variation der Bauformen
Die Wings sind sich recht ähnlich. Wichtige Unterschiede:
- Mit steifem Gabelbaum aus Aluminium (z.B. Duotone Echo oder Slick) oder mit aufblasbarer Mittelstrut und Griffen, oder einer Mischform (Vayu VVing V2 mit Bridge Boom)
- Robustheit und Gewicht: Was halten die Nähte aus, wie gut ist die Leading Edge verstärkt, und was bedeutet das für das Gesamtgewicht des Wings?
- Mit oder ohne Fenster? Befürworter führen Sicherheitsaspekte an (Sichtbarkeit von Mitsurfern), Gegner wenden das höhere Gewicht des Fensters ein und beklagen, dass es die Gesamtintegrität des Wings und damit die Fahreigenschaften negativ beeinflusst.
- Lieferumfang: Sind Leash, Rucksack und Pumpe dabei?
Wingfoilen auf dem SUP?
Manch einer schwört drauf, die ersten Schritte auf einem herkömmlichen SUP Board ohne Foil zu machen. Es ist verlockend, so niederschwellig und mit einem überschaubaren Budget erstmal nur einen Wing anzuschaffen, um den neuen Trend auszuprobieren. Erfahrungsgemäß ist das aber auch der sichere Schritt, um den Sport ziemlich schnell frustriert wieder aufzugeben. Das liegt daran, dass man auf einem SUP selbst mit einer Centerfinne oder einem Schwert kaum Höhe laufen kann und insbesondere bei schwachem Wind einfach nur mit dem Wing abtreibt. Dazu ist ein SUP Board zu schwer, zu träge, zu wenig drehfreudig und zu lang, um mit einem Wing voranzukommen und die Steuerung zu erlernen. Im Idealfall verwendest du ein größeres Wing Board (z.B. 6’0 oder 6’10 oder sogar 7’8) mit einem Foil darunter. Wenn das Material so nicht vorhanden ist, tut es zur Not auch ein Kinder-Windsurfboard mit Schwert oder ein sehr kurzes SUP mit Centerfinne oder Mittel-Seitenfinnen. Eine detailliertere Darstellung dazu: Wing auf dem SUP?
… und was ist mit Kite-Verbotszonen?
Ob das Wingsurfen eher dem Windsurfen oder dem Kitesurfen zugeordnet wird, oder ob es sich eventuell als komplett neues Genre etabliert, das bleibt abzuwarten. Daher ist bisher auch keine rechtssichere Aussage möglich, ob Wing surfen in Zonen erlaubt sein wird, die für Kiter gesperrt sind.